Menschen, die mit Diabetes leben, verwenden heute eine Vielzahl verschiedener medizinischer Geräte, um ihr tägliches Diabetesmanagement zu unterstützen. Ein entscheidender Aspekt, der hierbei zu berücksichtigen ist, ist die Art und Weise, wie die verschiedenen Produkte miteinander kommunizieren. Das gilt insbesondere für Systeme zur automatischen Insulinzufuhr (AID), denn um ein solches System aus verschiedenen Einzelkomponenten etablieren zu können (= Device-Interoperabilität), müssen sie in technischer und struktureller Hinsicht kompatibel miteinander sein. Darüber hinaus sollen die erzeugten Daten nicht nur effektiv heruntergeladen, integriert und präsentiert werden, sondern letztlich auch von den Menschen mit Diabetes und ihren Gesundheitsdienstleistern effektiv genutzt werden (= Daten-Interoperabilität).
Die Vernetzung von Geräten ist aber nicht nur mit praktischen Herausforderungen verknüpft, sondern es gilt auch regulatorische und rechtliche Aspekte zu beachten. In Bezug auf die Daten steht im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion die Frage nach dem Eigentümer dieser Daten. Weitere Fragen drehen sich um die Verantwortung/Haftung bei der Dateninteroperabilität: Wer ist verantwortlich, wenn etwas schiefgeht? Wie sicher sind die Daten? Wie hoch ist das Risiko eines Datenmissbrauchs?
Zur Erleichterung einer Interoperabilität werden Standardprotokolle für die gemeinsame Nutzung von Daten benötigt (s.u.), um die nahtlose Integration von Daten aus verschiedenen Quellen zu ermöglichen. Außerdem bedarf es standardisierter Protokolle für den offenen und transparenten Umgang mit Daten und die sichere Integration von Daten in elektronische Gesundheitsakten.
Während eines Symposiums beim ATTD erörterte David Klonoff, ein amerikanischer Diabetologe, die akademische und klinische Perspektive bei Interoperabilität und konzentrierte sich dabei insbesondere auf die Notwendigkeit, CGM-Daten in elektronische Patientenakten (ePA) zu integrieren. Seiner Meinung nach kann eine verbesserte Interoperabilität zwischen CGM und ePA nicht nur die Nutzung von CGM für mehr Diabetes-Patienten durch größere Benutzerfreundlichkeit und erweiterte klinische Indikationen ausweiten. Auch die Nutzungsoptionen für CGM, wie beispielsweise KI-integrierte Entscheidungshilfetools oder die Vorhersage von Komplikationsrisiken, könnte optimiert werden. Infolgedessen würden sich Qualität, Sicherheit und Effizienz der Diabetesversorgung erheblich verbessern.
Klonoff hob die von ihm entwickelten iCoDE-Projekte als Beispiele für die Entwicklung technischer Standards und bewährter Verfahren für die Integration von CGM-Daten in elektronische Patientenakten hervor. Der Abschlussbericht zu iCoDE 1 enthielt 54 umsetzbare Empfehlungen für Gesundheitsorganisationen und die Industrie zur Unterstützung der Integration von CGM und ePA, während iCoDE 2, das sich auf die Integration von AID-Systemen in die ePA konzentriert, noch nicht abgeschlossen ist.
Der Diabetologe Johan Jendle aus Göteborg/Schweden wies zu Beginn seines anschließenden Vortrags zunächst auf das hohe Interesse am Thema Diabetes-Technologie hin: Die Eingabe des Begriffs „Diabetes Technology“ in Google führt zu 743 Millionen Hits, der Begriff „Digital Technology Diabetes“ immerhin noch zu 178 Millionen Hits und „Connectivity Diabetes“ zu 14,3 Millionen Hits. Es gibt diverse Definition von Interoperabilität, wie: „Die Fähigkeit von Computersystemen oder Software, Informationen auszutauschen und zu nutzen“ oder „Interoperabilität zwischen Geräten verschiedener Hersteller“. Konkret geht es darum, die Integration der API (= Application Programing Interface) verschiedener Geräte voranzutreiben. Wie so häufig gibt es dafür verschiedene Ansätze, wobei die Wahl von strategischen Entscheidungen – z.B. Art der Speicherung, gemeinsame Nutzung von Daten – beeinflusst wird. Sicherheit ist das oberste Gebot. Wenn es um das Downloaden von Daten geht, geht es um den Transfer vom Gerät zum Patienten mit Diabetes oder zum Gesundheitsdienstleister (HCP) oder zu einem Familienangehörigen/Betreuer. Erweitert werden kann dies für den Datentransfer vom Gerät zur elektronischen Patientenakte (ePA), vom Gerät zum Hersteller und vom Gerät zum Kostenträger/Krankenversicherung.
Die Integration der Daten, sei es vom CGM-System, AID-System oder anderen Diabetes-Technologie-Produkten, in die ePA gestaltet sich schwierig, basierend auf einem Mangel an technischem Wissen und Ressourcen zur Unterstützung der Datenintegration. Es gibt diverse Standards und Rahmenbedingungen (Beispiele!): HIPAA, HITRUST, SOC2, NIST CSF, Open mHealth, IEEE, OMOP, OAuth2.0, NPI, EMPI, UDI, CCD, CDA, HL7, FHIR, SMART on FHIR, LOINC, RxNORM, SSNOMED, CPT, ICD-10. Dabei gibt es mehrere Optionen für die technische Implementierung, außerdem müssen die vielfältigen Vorgaben und Vorschriften zu Compliance, Kommunikationsabläufen und Engagement beachtet werden. Dies führt dazu, dass es deutliche Unterschiede zwischen Kontinenten/Länder/Regionen gibt. In Europa kommt durch das Europäisches Datengesetz, die Vorgaben der Medizinprodukteverordnung und verschiedenen Blickwinkel darauf, wem die Daten gehören, eine gewisse „Dynamik“ in das Thema. Solche Barrieren müssen beachtet werden und gleichzeitig Möglichkeiten und Wege zu finden, wie sie z.B. das „Internet of Things“, AI und Big Data bieten.
Ausgesprochen spannend war der dritte Vortrag eines Patienten mit Typ-1-Diabetes zum Thema. Tim Street aus Großbritannien beschrieb seine Perspektive in Bezug auf Interoperabilität, wobei er seine Präsentation explizit als „Nutzerperspektive“ und nicht als „Patientenperspektive“ bezeichnete, da die meisten Interaktionen mit Geräten ohne die Aufsicht oder den Input von medizinischen Personal stattfinden. Seine Definition von Interoperabilität sieht er als die Fähigkeit eines Patienten mit Diabetes, ein beliebiges Insulin, ein Verabreichungsgerät, einen Sensor, einen Algorithmus und einen Datenaustausch zu wählen und alles arbeitet nahtlos zusammen. Abgesehen von der aktuell in der Praxis immer noch schlechten Kompatibilität zwischen den Geräten kritisierte er, dass die Auswahl an Geräten durch negative Reaktionen auf z. B. Sensorpflaster oder Infusionssets, weiter eingeschränkt wird. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass die Zugänglichkeit von Daten nach wie vor ein erhebliches Hindernis darstellt, einschließlich der Übertragung von Gerätedaten an Ärzte des Gesundheitswesens. Er forderte die Industrie auf, verbesserte Standards für den Datenzugang und Datenmodelle zu entwickeln und betonte, dass die Patienten mit Diabetes Eigentümer ihrer Daten sind und in der Lage sein sollten, diese nach ihren Prioritäten selbst zu verwalten.
Leider fiel der geplante Vortrag zu den rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa dem Streik einer deutschen Fluglinie zum Opfer. Dabei hätte der Redner von MedTec Europe bestimmt interessante Hinweise auf hiesige Situation geben können.
Fazit: Die Interoperabilität von Diabetestechnologie entwickelt sich schnell weiter, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen Europa und den USA bei den entsprechenden Rahmenbedingungen und Vorschriften gibt. Ein klarer und transparenter Rahmen für Interoperabilität und den Umgang mit Daten würde von Menschen mit Diabetes und ihren Gesundheitsdienstleistern sehr begrüßt werden.
diatec weekly – März 22, 24
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