Im Jahr 2013 stellte ein Team der Stanford University eine Reihe von Kriterien vor, mit denen der Ausfall eines II-Sets (ISF – Infusion Set Failure) erfasst werden. Diese wurden mit minimalen Änderungen in nachfolgenden Studien eingesetzt. Nach diesen Kriterien muss ein II-Set vom Nutzer gewechselt werden, wenn einer der folgenden Fälle eintritt:
- Hyperglykämie (Glucose >250 mg/dL [13,9 mmol/L]), die nicht auf eine Bolusdosis über die Insulinpumpe anspricht (d.h., Abfall der Glykämie um mindestens 50 mg/dL [2,8 mmol/L] innerhalb einer Stunde),
- Hyperglykämie, die nicht in Verbindung mit einer akuten interkurrenten Erkrankung steht mit Ketonkonzentrationen ≥0,6 mmol/L,
- Anzeichen einer Infektion an der Infusionsstelle (z. B. Erythem oder Verhärtung mit einem Durchmesser von mehr als 1 cm) oder
- Auftreten eines Alarmsignals für den Verschluss der Insulinpumpe.
Die Einhaltung dieser ISF-Kriterien kann für manche Menschen mit Typ-1-Diabetes eine Herausforderung darstellen, da sie oft nicht den realen Gegebenheiten entsprechen oder mit der Routineversorgung nicht vereinbar sind. Ziel der nun publizierten Studie war es, die derzeitige Herangehensweise an das Design von Studien für die Evaluierung von II-Sets für eine längere Nutzungsdauer kritisch zu hinterfragen, indem die Teilnehmerprotokolle sowie die Glucose- und Insulinprofile einer Studie mit II-Sets mit einer verlängerten Nutzungsdauer (bis zu 14 Tagen) retrospektiv ausgewertet wurden. Dabei ging es insbesondere darum, frühe Ausfallereignisse zu identifizieren, die von den Studienteilnehmern ignoriert wurden. Die Arbeitshypothese war, dass Patienten in klinischen Studien II-Sets deutlich länger tragen als im Protokoll empfohlen wird.
13 Patienten mit Typ-1-Diabetes (davon waren sechs weiblich und sieben männlich, Alter 36,7±10,5 Jahre, BMI 24,9±3,3 kg/m², HbA1c 6,9±2,9%, Diabetesdauer 22,5±7,4 Jahre) – die in der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz, Österreichbehandelt werden – wurden für eine kontrollierte, randomisierte Studie rekrutiert, bei der die Nutzung von II-Sets während vier Trageperioden von jeweils bis zu 14 Tagen (zwei Perioden pro II-Set Typ) unter Alltagsbedingungen untersucht wurde. Die Teilnehmer trugen ein reguläres 90°-Teflon-II-Set (MiniMed Mio, Medtronic plc, Dublin, IRL; oder ein AccuChek FlexLink, Roche, Basel, CH) oder ein angewinkeltes Nylon-II-SETS (Capillary Biomedical Inc, Irvine CA, USA). Die Teilnehmer waren zwischen 18 und 70 Jahre alt und verfügten über ≥6 Monate Erfahrung mit Insulinpumpen und Insulin lispro. Sie benutzten ihre eigenen Insulininfusionspumpen und Insulin. Elf Teilnehmer verwendeten das Medtronic 670G System (Medtronic Diabetes Care, Northridge, CA, USA; neun im manuellen und zwei im automatischen Modus) und zwei Teilnehmer die AccuChek Spirit Combo Pumpe (Roche Diabetes Care GmbH, Mannheim, Deutschland).
Der primäre Endpunkt der Studie war die Dauer in Tagen der erfolgreichen Insulinzufuhr durch das II-Set, wobei Erfolg definiert war als die Anzahl von Tagen vom Setzen des II-Sets bis entweder 1. es zu einer Entfernung des ISF kam, aufgrund der vordefinierte (ISF-)Kriterien („primärer Endpunkt-Fehlerkriterien“), oder 2. zu einer Entfernung aufgrund aller anderen Ursachen (z. B. versehentliche Entfernung, Entfernung aufgrund von Schmerzen oder erfolgreiche Verwendung für 14 Tage).
Die Daten der Insulinpumpe und eines CGM-Systems (Dexcom G6, Dexcom, San Diego, USA) wurden während der gesamten Studie kontinuierlich erfasst. Teilnehmer, die ihre Pumpe im Auto-Modus verwendeten, trugen weiterhin ihren persönlichen CGM-Sensor, legten aber für die Dauer der Studie ein zusätzliches Studien-CGM ein. In einem zweiten Schritt wurden diese Daten retrospektiv ausgewertet, um die Überlebensraten der II-Sets detaillierter beurteilen zu können. Die tatsächliche Tragezeit der II-Sets wurde mit der hypothetischen Tragezeit verglichen, die durch eine retrospektive Analyse ermittelt wurde.
Insgesamt wurden 57 Ereignisse bestätigt, bei denen der primäre Endpunkt des II-Sets versagt hatte. Sechsundvierzig solcher Ereignisse (23 in jeder Behandlungsgruppe) traten vor der Entfernung des II-Sets bei 12/13 (92%) Teilnehmern auf, wobei bei einzelnen Teilnehmern bis zu fünf Ereignisse vor der Entfernung des II-Sets auftraten. Die subjektgewichtete durchschnittliche Zeit bis zum ersten ISF-Ereignis unterschied sich signifikant von der tatsächlichen Tragedauer (6,3±4,2 vs. 9,5±3,8 Tage; P<0,001). Auch wenn nur das letzte ISF-Ereignis vor dem Wechsel des II-Sets mit dem Zeitpunkt des Wechsels verglichen wurde, war die durchschnittliche Zeit unterschiedlich (7,6±3,9, P<0,01). Ein lineares Zufallsintervallmodell zeigte, dass unabhängig davon, wann ein ISF-Ereignis ignoriert wurde, die tatsächliche Nutzungsdauer immer noch signifikant um 2,9±0,6 Tage länger ist (P<0,001).
48% (25/52) der II-Sets wurden mit der Begründung entfernt, dass die ISF-Kriterien erfüllt seien. Bei einer detaillierten Beurteilung wurde festgestellt, dass nur 11/25 (44%) dieser Entfernungen den ISF-Definitionen des Protokolls entsprachen. Sechsundzwanzig (50%) II-Sets wurden nicht zu dem Zeitpunkt entfernt, zu dem ein entscheidendes Versagensereignis eintrat – die tatsächliche Entfernung des II-Sets erfolgte zwischen 0,2 und 11,8 Tagen (Median 4,3 Tage) später. Dreizehn II-Sets wurden wegen „Hyperglykämie“ entfernt, obwohl bei der retrospektiven Überprüfung der Glucosewerte diese Ereignisse nicht als Hyperglykämie-Ereignisse im Rahmen des Protokolls betrachtet wurden: In der Regel entfernten die Teilnehmer die II-Sets, nachdem sie einen „unzureichenden“ Bolus verabreicht hatten, wie durch eine retrospektive medizinische Expertenprüfung festgestellt wurde oder nicht 60 Minuten gewartet hatten, bis die Glykämie um 50 mg/dL (2,8 mmol/L) gesunken war.
Fazit: Die Durchführung und Auswertung von Studien mit II-Sets, die über drei Tage hinaus genutzt werden können, ist für Forscher und Nutzer Neuland. Die Erfassung von Ereignissen bei Studien erfordert entsprechende Protokolle und Arbeitsanweisungen für das Studienpersonal sowie eine intensive Schulung von Prüfärzten und Teilnehmern zur Erkennung von Fehlern mit II-Sets. Diese retrospektive Analyse von Daten einer aktuellen Studie zeigt, dass die Teilnehmer sich dafür entschieden, ein Infusionsset deutlich über den Zeitpunkt des protokolldefinierten Versagens hinaus zu tragen. Primäre Endpunkt-Ereignisse traten weitaus häufiger auf als das Entfernen des II-Sets, manchmal bis zu fünf Mal, bevor das Set entfernt wurde. Nur 21% der Wechsel fielen mit der Erfüllung der ISF-Kriterien zusammen. Dabei kann der kleine Stichprobenumfang die Ergebnisse beeinflusst haben, außerdem wurden die Infusionsstellen nicht randomisiert und es wurde nur ein Insulintyp verwendet.
Die Autoren schlagen eine Anpassung der ISF-Kriterien vor, die den Bedürfnissen von Patienten mit Typ-1-Diabetes besser entspricht: 1. Glucose ≥250 mg/dL (13,9 mmol/L) für 60 Minuten oder länger mit Keton-Werten >1,0 mmol/L, ohne Krankheit oder andere physiologische Belastung. 2. Glucose ≥250 mg/dL (13,9 mmol/L), ≥3 Stunden nach einer Zwischenmahlzeit/Mahlzeit UND Nichtansprechen auf einen Korrekturbolus der Pumpe mit einem Abfall von mindestens 50 mg/dL (2,8 mmol/L) innerhalb von 60 Minuten nach Bolusgabe, 3. Wechsel des II-Sets nach Ermessen des Prüfarztes, mit vollständiger Dokumentation des Grundes.
DiaTec weekly – Januar 13, 23
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Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Dr. Heinemann, was mir in dieser Studie fehlt ist der Nachweis, ob ei längeres Tragen eines Infusionssetzt durch das Insulin Mikroplastikartikel in den Körper gelangen. Insulin, wie ich lernte, ist durchaus in der Lage dies zu bewerkstelligen. Ist das berücksichtigt worden, oder sist meine Nachfrage nicht mehr relevant? Mit herzlichen Grüßen und großem Dank für diesen wunderbaren Newsletter