von Christoph Neumann
Wahrscheinlich gibt es nur wenige Disziplinen in der Medizin, die in den vergangenen Jahren so gewaltige Veränderungen erfahren haben wie die Diabetologie. Dies ist ungeheuer spannend, hält uns als Diabetologen ständig auf Trab und zwingt uns, sich mit eben diesen Innovationen kritisch auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist das Tempo derart hoch, dass man immer wieder Gefahr läuft, den Anschluss zu verpassen. So hat beispielsweise die Einführung von GLP-1-Analoga und SGLT-2-Inhibitoren die Therapie des Typ 2 Diabetes revolutioniert. Erstmalig gelingt es nun, durch den Einsatz spezifischer Substanzen nicht nur mikrovaskuläre Komplikationen zu verringern, sondern auch durch Reduktion makrosvaskulärer Komplikationen das Leben von Menschen mit Typ-2-Diabetes zu verlängern. Der Siegeszug der Gliflozine auch im Bereich der Kardiologie sucht seinesgleichen, so wurden Empa- und Dapagliflozin im vergangenen Jahr in die Leitlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz aufgenommen – und zwar unabhängig davon, ob ein Diabetes vorliegt oder nicht. Fast unglaublich!
Die Lage beim Typ-1-Diabetes ist dagegen noch viel unübersichtlicher. Durch Einführung des rtCGM auf breiter Ebene hat sich eine neue Dimension von Monitoring und Beratungsmöglichkeit aufgetan. Damit war es erstmalig möglich, in weitgehender Echtzeit die realen Glucoseexkursionen zu sehen und daraus Behandlungsstrategien abzuleiten. Die Fülle der Daten stellte sowohl uns als Therapeuten als auch die Patienten vor gewaltige Herausforderungen. Es entstand ein immenser Schulungsbedarf, sowohl was die grundsätzlichen Prinzipien des rtCGM anging als auch, was sich im individuellen Setting im Alltag für Probleme ergaben. Auf die Abrechnungsmöglichkeit der rtCGM-Schulungen warten wir seit Jahren dennoch vergebens.
Die Möglichkeiten der Kombination des rtCGM mit einer Insulinpumpe im Sinne eines Hybrid-AID- oder auch womöglich bald im Sinne eines Full-AID-Systems sind vielversprechend, auch wenn hier noch einige Hürden zu nehmen sein dürften. Hier drängen immer mehr Produkte auf den Markt, deren Qualität zu beurteilen für uns nicht ganz einfach sein wird.
Als das erste „Flash Glucose Monitoring“-System (iscCGM) auf den Markt kam, erkannten wir sehr rasch das unglaubliche Potenzial dieser Messmethode, stellten aber auch fest, dass die alleinige kontinuierliche Messung der Glucose mitnichten automatisch zu einer Verbesserung der Glykämie führte. In intensiven Gruppen- und Einzelschulungen zeigte sich jedoch, dass nun weitgehend passgenaue Therapieadaptationen möglich wurden, wie man sich das zuvor niemals hätte vorstellen können. Darüber wurde es bei entsprechend gut geführtem Glucoseprotokoll möglich, Patienten auch telemedizinisch individuell exzellent beraten zu können. Doch das kostete zusätzliche Zeit und die ist rar. Und bezahlt wurde sie auch nicht.
Diese Situation führte zum Entwurf eines telemedizinischen Projekts, das sich den folgenden Fragen widmen sollte:
1) Führt die telemedizinische Beratung und Betreuung von Patienten mit Typ-1- oder 2-Diabetes unter Verwendung eines CGM-Systems zu einer Verbesserung medizinischer Parameter (HbA1c, Gewicht, Hypoglykämierate)?
2) Wieviel Zeit ist erforderlich, um Patienten telemedizinisch beraten und betreuen zu können und was kostet das?
3) Wie beurteilen Patienten und Ärzte die Möglichkeit der telemedizinischen Beratung?
Zur Umsetzung eines solchen Projektes sind selbstverständlich viele Vorgespräche mit möglichen Projektpartnern erforderlich. Hier braucht es hohe Motivation und einen sehr langen Atem, um bis zum Beginn des Projektes durchhalten zu können. In unserem Fall bestand das Projektkonsortium schließlich aus dem Berufsverband niedergelassener Diabetologen in Bayern (bndb) als Ideengeber und Motor des Ganzen, aus der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) als wichtiger organisatorischer Unterstützerin, dem bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege als Geldgeber und der Firma Abbott als Industriepartner.
Eingeschlossen in das Projekt wurden 97 Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes mit ICT oder Pumpe, die alle noch nie zuvor ein CGM-System verwendet hatten. Diese wurden von 13 Schwerpunktpraxen in Bayern über insgesamt 6 Monate telemedizinisch betreut. Dabei erfolgte die Beratung in den ersten 4 Wochen wöchentlich, in den weiteren 5 Monaten alle 14 Tage. Nach 3 Monaten war ein Präsenztermin in der Praxis obligat, an dem medizinische Daten erhoben wurden. Nach Abschluss des Projektes zeigten sich:
- eine signifikante Absenkung des HbA1c ohne Gewichtszunahme über den gesamten Verlauf,
- ein signifikanter Anstieg der Therapiezufriedenheit,
- eine positive Bewertung der telemedizinischen Beratung durch Patienten und Ärzte,
- eine Kosteneffizienz.
Mit Unterstützung des Instituts für Diabetes-Technologie in Ulm konnten die Ergebnisse des Projektes in Diabetes, Stoffwechsel und Herz 3/2021, 30:153-162 publiziert werden (Versorgungsoptimierung von Menschen mit Diabetes mellitus mit iscCGM unter Einsatz von Telemedizin; Neumann, Irsigler). Die Ergebnisse wurden auf verschiedenen Kongressen und bei den bayerischen Kostenträgern vorgestellt, so dass bereits 7/21 eine telemedizinische Beratungsmöglichkeit in Bayern mit allen GKV ausschließlich für diabetologische Schwerpunktpraxen etabliert werden konnte als telemedizinisches Gesundheitscoaching. Dabei orientiert sich die Bezahlung an den durch das Telemedizinprojekt akquirierten Daten und ist im ersten Jahr 8mal, im Folgenden 6mal als Wiederholungscoaching (einmalig) abrechnungsfähig.
Die Ergebnisse des Projektes sind erfreulich und zeigen, dass es auf Länderebene durchaus möglich ist, neue Beratungsleistungen im Bereich der Diabetologe erfolgreich einführen zu können. Durch die Ergebnisse wird die Expertise niedergelassener Diabetologen deutlich, ohne die neue Produkte sicherlich weniger Erfolg haben würden. Sie unterstreichen aber auch, dass neue Beratungsleistungen nicht zum Nulltarif zu bekommen sind. Hier sehe ich großes Potenzial für vergleichbare Projekte insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Innovationen im Bereich der Hybrid-/Full-AID -Systeme. Es besteht großer Schulungsbedarf im suffizienten Umgang mit den immer komplexer werdenden Medizinprodukten vor allem auch bei Störungen oder Ausfall.
Fazit: Für DiaTec 2023 könnte ich mir eine Art „Ideenschmiede“ vorstellen, bei der gute Ideen zu Projekten eingereicht werden, die dann von einer Art board „begutachtet“ werden. Bei positiver Betrachtung sollte hier beim DiaTec ein Treffen stattfinden, um bei der Planung eine Unterstützung anzubieten, diese sollte sich über Durchführung, Auswertung und Publikation des Projektes hinweg fortsetzen. Nur so kann es gelingen, auf Dauer das Alleinstellungsmerkmal und die Expertise niedergelassener Diabetologen nach außen zu tragen, damit die von uns erbrachten Leistung auch honoriert werden, die unbedingt erforderlich sind, damit Innovationen Patienten und Ärzten gleichermaßen zugutekommen.
DiaTec weekly – Februar 11, 22
Artikel teilen & drucken
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das untenstehende Formular um sich für den DiaTec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen