Diese Nachricht hat ausgesprochen viel Interesse im Markt ausgelöst und die Seminare von Roche beim diesjährigen DiaTec hatten die meisten Teilnehmer. Besonders relevant dabei: Dieses AID-System ist sozusagen „auf Lager“ und kann verordnet werden. Was aber macht das Hybrid-AID-System genau aus und aus welchen Komponenten besteht es? Zur Einordnung: Von Diabeloop kommt das DBLG1-System, das ist ein Handheld mit dem Algorithmus, der die Daten aus dem rtCGM-System (G6 von Dexcom, zukünftig wahrscheinlich G7) erhält und während des Loop-Modus dann die Insulinpumpe Accu-Check Insight steuert.
Der Algorithmus von Diabeloop nimmt also die aktuellen Glucosewerte aus dem rtCGM-System entgegen und legt die Insulinzufuhr fest, kalkuliert dabei die Differenz zum Glukosezielwert und passt die Basalrate und ggf. Korrekturboli bzw. Mikroboli für die nächsten 30 Minuten an. Dabei werden das aktive Insulin (das geschätzte im Körper zirkulierende Insulin aus Basalrate und Boli), die Kohlenhydrat- bzw. Korrekturfaktoren berücksichtigt. Alle 5 Minuten wird dies neu berechnet und die Insulinmenge angepasst und – bei Bedarf – passt der selbstlernende Algorithmus nicht nur die Basalrate an, es wird auch zusätzlich Insulin infundiert (diese Gaben werden als Mikroboli bezeichnet).
Zu Beginn der Nutzung des Systems sind folgende Werte einzugeben: Körpergewicht, Tages-Gesamt-Insulindosis, die typische Mahlzeiten-Größe (in Gramm Kohlenhydrate) und die Sicherheitsbasalrate. Weitere änderbare Parameter sind unter anderem der Glukosezielwert (100-130 mg/dl bzw. 5,6-7,2 mmol/l) und die Hypoglykämiegrenze (60-85 mg/dl bzw. 3,3-4,7 mmol/l). Der Algorithmus hat eine „Auto-Learning Funktion“ und lernt wöchentlich z.B. aus den Glukoseverläufen nach den Mahlzeiten und von wiederkehrenden physiologischen Reaktionen. Auf diese Weise wird die Insulininfusion in Bezug auf das Mahlzeitenverhältnis (KH-Faktor), Insulinempfindlichkeit und Basalrate dem Nutzer stetig angepasst. Die Berechnung der Insulindosis erfolgt durch einen sogenannten „MPC-Algorithmus“, der von dem bekannten Mathematiker und Informatiker Roman Hovorka aus Cambridge, UK entwickelt wurde. Ausgehend von dem Gesamttagesinsulinbedarf als Ausgangsbedingung beim Start der Nutzung des DBLG1 werden die Informationen aus den Glukoseverläufen zur Insulindosierung sowie die Tagesdynamik (der letzten 7 Stunden) für die Optimierung der Parameter verwertet und in die Insulindosierungsentscheidung miteinbezogen.
Fragen zur Sicherheit bei der Nutzung von AID-Systemen sind grundsätzlich von hoher Relevanz, insbesondere, wenn sie sich auf Situationen beziehen, die im Alltag schnell mal auftreten können: Was passiert bei einer Unterbrechung der Kommunikation zwischen den Teilen des Systems, wenn man z.B. das Handheld im Badezimmer liegen lässt und in die Küche geht? Wenn das System nach 30 Minuten in den Open Loop schaltet und nicht mehr die CGM-Daten für die Berechnung der Insulininfusion nutzen kann, dann infundiert das System weiter Insulin, aber mit der sogenannten Sicherheitsbasalrate und nicht mit der Start-Basalrate.
Spannend ist natürlich auch die Frage nach der Kostenerstattung. Diabeloop hat ja schon seit einiger Zeit versucht hier etwas zu erreichen. In Hinsicht auf die Insulinpumpe und das Handheld als gemeinsames Produkt sind offenbar viele Krankenversicherungen bereit, dafür die Kosten zu übernehmen. Der Hilfsmittelantrag läuft zwar noch, aber offenbar hat Roche bereits bewegen können. Das DBLG1-System kann für Erst- oder Folgeversorgungen mit Accu-Chek Insight verordnet werden. Die nun ausgelieferte Insight-Insulinpumpe stellt die neueste Generation der Pumpe dar. Die ersten Erfahrungen mit dem DBGL1-System in klinischen Studien waren positiv und zumindest besser als die mit einem anderen AID-System als dieses in den USA auf den Markt kam (in Deutschland wurde später eine andere Version ausgeliefert).
Es gilt also abzuwarten wie gut Nutzer mit diesem AID-System im Alltag klarkommen. Das wird auch davon abhängen, welche Patientengruppen dieses System als Erste nutzen werden: sind dies diejenigen, die schon viel Erfahrung mit CGM-Systemen, Pumpen und AID-Systemen mitbringen und möglicherweise sogar selbstgebaute Systeme (DIY AID-Systeme) nutzen? Die Nutzung des AID-Systems mit DBGL1 ist wohl weniger arbeitsintensiv für den Nutzer als ein DIY AID-System und stellt deshalb eine konkrete Entlastung für den Alltag mit Diabetes dar.
Wenn das AID-System „aggressiv“, also auf eine rasche und nachhaltige Optimierung der Glukosekontrolle ausgelegt ist, dann sollten die Patienten dies verstehen und sehr gut in der Nutzung des Systems geschult sein, das gilt auch für die Diabetes-Teams. Trotzdem sollten „Neueinstellungen“ von Patienten (mit neumanifestiertem Diabetes) nicht gleich mit einem solchen System erfolgen. Ohne ein tieferes Verständnis für eine komplexe Therapieoption kann es schwierig werden, im Notfall wieder auf eine „manuelle“ Insulintherapie umzuschalten. Eine Überforderung der Patienten durch eine für sie neue Begriffs- und Denkwelt sollten vermieden werden. Andererseits könnte es sein, dass sich „naive“ Patienten eher auf das System einlassen und ihm vertrauen als erfahrene und skeptischere Patienten. Zum Einstieg könnte es Sinn machen, die verschiedenen Komponenten des Systems stufenweise zu aktivieren, damit der Nutzer nicht zu viel auf einmal beherrschen muss. Welche Voraussetzungen also der „ideale“ Patient mitbringen sollte, muss noch geklärt werden.
Es erscheint wichtig, solche Aspekte und Fragen, die bei der Nutzung aufkommen systematisch zu sammeln und daraus entsprechende Lektionen und Aktivitäten abzuleiten. Dies ist vergleichbar mit der Situation vor mehr als 30 Jahren, als die Insulinpumpentherapie verstärkte in die Diabetestherapie eingebracht wurde. Damals wollte keiner diese Therapieform bei Kindern nutzen, dies wurde als zu risikoreich betrachtet. Heute bekommt de facto jedes Kind schon frühzeitig eine Insulinpumpe, diese stellt den Standard bei der Insulintherapie für diese Patientengruppe dar.
Unser Fazit: Es ist ausgesprochen erfreulich, dass nun ein weiteres AID-System in Deutschland auf dem Markt zur Verfügung steht. Der Algorithmus (das DBGL1-System) ist aktuell noch die erste Generation, eine weitere ist bereits in der klinischen Entwicklung. Wir werden darüber berichten, wie die Erfahrungen mit diesem AID-System sind und was die daraus abgeleiteten Schritte sind. Alle Diabetologen, die ihren Patienten in Kürze das DBLG1-System zusammen mit der Accu-Chek Insight-Insulinpumpe verordnen möchten, erhalten vorab eine detaillierte Produktvorstellung. Dabei koordiniert der zuständige Außendienst-Mitarbeiter von Roche die technische Einweisung gemeinsam mit dem Verordner.
DiaTec weekly – März 12, 21
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Mit freundlichen Grüßen
Ich finde es toll, dass die Funktionsweise des DBGL1-Systems in eurem Bericht so gut erklärt wird; das macht neben dem System der Tandem T: Slim X2 Hoffnung auf einfachere Tages- und Nachtverläufe.
Ich bin seit 63 Jahren Typ 1 Diabetiker, „Teupe – Schüler“ und mit allen Up und Downs des Typ 1 Diabetes konfrontiert worden.
Dieses System hat für mich eine enorme Bedeutung, da ich momentan noch mit einer Animas Vibe arbeite, die ja von Johnson & Johnson nicht mehr supported wird. Der Wechsel zu einem neuen System wird also in Kürze erforderlich.
Auf dem IAD Markt tut sich was. Roche hat sein Produkt vorgestellt. Das sind in der Tat gute Nachrichten für die Automatisierung der Diabetestherapie.
diafyt, ein Startup, dass smart devices und AI Software zur Automatisierung der Diabetestherapie entwickelt, hat vor einem Jahr ein IAD für Pen-Nutzer eingeführt und wurde beim bytes4diabetes-Award 2020 ausgezeichnet. Damit hatte die Diatec einen guten Riecher den Trend frühzeitig zu erkennen.
Die nächste diatec wird spannend. Ich kann’s kaum erwarten, aber es sind ja nur noch 10 Monate 🙂