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von Ulrike Thurm
In Zeiten von moderner Diabetestechnologie beschäftigen wir uns akribisch mit Basalratentests, Einstellung von Einheiten/BE-Faktoren, der Insulinempfindlichkeit und Einstellung der Korrekturfaktoren etc. In der Zukunft werden uns moderne Algorithmen dabei unterstützen, aber manchmal liegt das ursprüngliche Problem von stark schwankenden Glukosewerten ganz woanders.
Dazu passt die folgende „Geschichte“: Mein Handy klingelte, ein Patient von mir rief an und ich wusste, wenn er diese Nummer wählt, muss es sich um einen echten Notfall handeln – dem war auch so. Fabian M. beschrieb ziemlich aufgelöst am anderen Ende der Leitung, dass er seit gestern stark erhöhte Blutzuckerwerte hätte, die Blutketonwerte waren ebenfalls massiv erhöht – also eine echte Ketoazidose. Fabian, normalerweise ausgesprochen engagiert und sehr gut geschult mit einer sensorunterstützten Insulinpumpentherapie schilderte mir akribisch, was vorgefallen war – seine Insulinpumpe meldete einen Verstopfungsalarm. Daraufhin hatte Fabian zuerst die Blutketone kontrolliert und die entsprechenden Maßnahmen zügig durchgeführt: Korrektur der erforderlichen, durch die Ketonwerte erhöhten Korrekturfaktor, mittels einer Insulinspritze injiziert, viel Wasser getrunken, Ruhe bewahrt etc. Als die Blutzucker- und Blutketonwerte wieder im Normbereich lagen, hat er die Pumpe kontrolliert und sorgsam und strukturiert alle erforderlichen Maßnahmen durchgeführt: Wechsel aller Materialien, neues Reservoir mit Insulin befüllt, neues Infusionsset, neue Katheternadel, neue Batterie, neuen Batteriefachdeckel, neuen Adapter, neue Katheter-Insertionsstelle, die sich weich und ohne Verhärtungen anfühlte etc. … also eigentlich an alles gedacht.
Wenig später trat der Katheter-Verstopfungsalarm wieder auf, sogar, bevor er den Katheter überhaupt ins Unterhautfettgewebe gelegt hatte.
Mir gingen langsam die Ideen aus. Ich kontaktierte umgehend zusammen mit Fabian die Insulinpumpenfirma. Auch dort hatte man keinen wirklichen Rat, bot jedoch sofort an, die Insulinpumpe per Express auszutauschen. Problem gelöst, dachte ich. Doch auch mit der neuen Insulinpumpe traten die Katheter-Verstopfungsalarme wieder auf. Was hatten wir übersehen?
Die Lösung fand Fabian, als er nochmals ganz genau hinsah und zwar auf das Insulinfläschchen, aus dem er das Insulin zum Befüllen der Ampulle aufgezogen hatte. Als er das Fläschchen auf den Kopf drehte, um Insulin aufzuziehen, bemerkte er, dass das Insulin keine Flüssigkeit mehr war, sondern sich in eine gelartige Substanz verwandelt hatte, die in einem Schwupp nach unten ploppte – ähnlich in der Konsistenz wie das Jubin-Glukose-Gel, natürlich nicht süß und klebrig, aber gelartig fest. So etwas hatte ich in meiner über 30jährigen Karriere als Diabetesberaterin jedenfalls noch nicht gesehen.
Mir kamen Worte meiner Kollegin Rosis Lohr in den Sinn: Wenn es um das Thema Hautirritationen geht, fragt Rosi, wer schon mal eine allergische Hautreaktion bei CGM-Sensoren gesehen hat. Meistens schnellen dann alle Hände in die Höhe. Dann folgt die zweite Frage von Rosi: Wer von Euch hat diese beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entsprechend gemeldet? Dann tritt betretene Stille auf und niemand erhebt seine Hand.
Wir aber wollten, dass dieses Problem bekannt und entsprechend geklärt wird und haben deshalb nicht nur das Insulin zur Abklärung an den Hersteller zurückgeschickt, sondern auch eine Meldung ans BfArM gemacht. Gemeinsam haben Fabian und ich uns durch unzählige BfArM-Dokumente gekämpft, Fragebögen ausgefüllt, das Insulin zur genauen Untersuchung an den Hersteller geschickt, Kommentare geschrieben, Rückfragen beantwortet, weitere Dokumente geschickt …. Jeder von Euch, der schon mal eine solche Meldung gemacht hat, weiß, was ich meine. Es war echte Arbeit!
Jetzt kam der Antwortbrief des Herstellers nach der Überprüfung des Insulins:
„….vielen Dank für die Einsendung des gelartig veränderten Insulins……Die visuelle Untersuchung zeigte eine trübe und gelartige Lösung. Mikroskopisch zeigte sich eine Fibrillenbildung in der Lösung. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das Produkt einer Kombination aus Hitze und Vibration ausgesetzt worden ist, nachdem das Produkt den Kontrollbereich der Firma verlassen hat, was zu dieser Konsistenzveränderung geführt hat. Bei erhöhten Temperaturen ist Insulin anfällig für chemische und physikalische Abbauprozesse wie z.B. Fibrillenbildung……wird das Produkt geschüttelt, wird sich die Fibrillenbildung beschleunigen.“
Die Firma hat dann weitere Flaschen aus der identischen Charge geprüft, es fanden sich aber keinerlei weitere Qualitätsprobleme. Übrigens – diese traten auch bei Fabian bei den anderen Flaschen aus derselben 5er Packung NICHT auf.
Was sagt uns das nun? Was tun wir damit?
Ich habe kurz über das Insulin nachgedacht, welches ich in meiner Insulinpumpe verwende (gleiche Sorte!). Meine arme Pumpe wird 5-7mal die Woche beim Joggen, Skaten, Radfahren, Fußball spielen etc. massiv durchgeschüttelt und das Insulin auch erwärmt. Ich bin im letzten Jahr, als wir noch Fernreisen machen durften (seufz), mit genau demselben Insulin in Australien gewesen, zur Zeit der dortigen großen Hitzewelle. Auch bei über 30 Grad musste das Insulin in der Pumpe sich beim Joggen, am warmen Körper anliegend, über Kilometer durchschütteln lassen. Dort zeigte sich keinerlei Fibrillenbildung und die Wirkung blieb auch unter diesen extremen Umständen vollständig erhalten.
Wieso also hier bei diesem einen Fläschchen und nicht bei den anderen 4-en aus der gleichen 5-er Reihe? Alle Fläschchen wurden von Fabian identisch transportiert, gelagert, genutzt worden. Die Aussagen der Firma sind also irgendwie unverständlich, sonst wäre ja vermutlich nicht nur bei dem einen Fläschchen das beschriebene Problem aufgetreten. Ich habe daraufhin mit Amin (Amin Zayani CEO von Med Angel; https://medangel.co/) telefoniert, der mit seinem Temperatursensor für die Lagerung von Insulin umfassendere Erfahrungen hat und zusammen mit Prof. Dr. Heinemann und Dr. Katarina Braune dazu eine Studie publiziert hat (https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/dia.2019.0046). Amin hat mir berichtet, dass er einige ähnliche Reklamationen aus dem gleichen Grund kennt, unabhängig von der Insulinfirma, dies betrifft gleichermaßen auch Insulinprodukte anderer Insulinfirmen.
Da Insulinpumpen am Körper getragen werden, wird das Insulin mindestens auf Raumtemperatur erwärmt, je nach Abdeckung durch Kleidung auch bis auf Körpertemperatur. Die Nutzer der Pumpen bewegen sich, manche weniger – andere mehr – und schütteln Ihre Insulinpumpen auch über die unglaublichen Distanzen von einem Iron Man Triathlon oder absolvieren irre Ultramarathon Läufe (erfolgreiche Teilnahme von 5 Menschen mit Typ-1-Diabetes beim Marathon des Sables über fast 250 km in der Sahara bei tagsüber >40°C).
Dort fibrillierte nix – ich war dabei!
Natürlich hat auch der Hersteller des oben erwähnten Insulins keine Glaskugel und kann nicht hellsehen, wie es zu diesem Problem in diesem singulären Fläschchen gekommen ist – aber was machen wir mit solchen seltenen Ereignissen, die im individuellen Fall ausgesprochen irritierend sein können?
Letzte Woche saß Fabian wieder in der Praxis vor mir, das Insulin wurde von der Firma ersetzt. Das Verstopfungsproblem ist nie wieder aufgetreten, seine Glukosewerte sind gut wie immer. Fabian brauchte ein neues Insulinrezept – er fragte mich dann, während wir parallel die letzten Nachfragen vom BfArM ausfüllten: „Was machen wir jetzt? Welches Insulin soll ich weiter nehmen? Dabeibleiben oder die Sorte wechseln?“ Ich antwortete mit einer Gegenfrage: „Was möchtest Du? Was ist Dir lieber? Wechseln oder beim Insulin bleiben?“ Er wollte bei SEINEM Insulin bleiben, abgesehen von diesem einen einzigen Vorfall war und ist er bis jetzt ausgesprochen zufrieden gewesen mit dieser Insulinsorte.
Dann hoffen wir jetzt gemeinsam, dass es bei diesem einen einzigen Ausnahmefall bleibt – obwohl wir NICHT wissen, wie es dazu kommen konnte oder was man hätte tun können, um es zu verhindern. Das Einzige, was als Fazit für die Zukunft für Fabian bleibt, ist die Erkenntnis, dass er jedes Mal, wenn er sein Pumpenreservoir neu mit Insulin befüllt, er das Insulinfläschchen gut und gründlich auf die Konsistenz des Insulins darin überprüft. A la James Bond: Nicht schütteln, sondern vorsichtig rollen – und kontrollieren, ob es flüssig ist oder gelförmig.
Wenn wir den Diabetes wie einen Krimi betrachten, ist die Tätersuche in manchen Fällen recht einfach und in anderen ziemlich komplex – ich habe mir auf meinen „Täterzettel“ die Insulinlagerung, -konsistenz etc. ganz nach oben geschrieben, denn es wird bald wieder Sommer und dank des Klimawandels auch wohl wieder richtig heiß. Ich werde dieses Thema intensiver in die Schulungen und Einzelberatungen mit einbauen. Mehr können wir wohl nicht tun, oder?
Zusätzlich haben wir das Thema im Praxisteam besprochen und wollen zeitnah regelmäßige Wiederholungsschulungen zum Thema Ketoazidose – Ursachen, Symptome und Therapie per Zoom anbieten und bei jedem Rezept eines Insulinpumpenpatienten nachfragen, ob er über ein Blutketon-Messgerät und den dazugehörigen Teststreifen verfügt.
Wir haben für den Sommer spezielle Merkzettel entworfen, in denen wir unsere Patienten nochmals auf das Thema Insulinlagerung bzw. -kühlung (besonders für Pumpe oder Pens, die bei heißen Temperaturen mitgeführt werden), spezielle Fixierung von CSII (Kathetern und CGM – Sensoren) entworfen und werden diesbezüglich weitere Wiederholungsschulungen anbieten.
Mehr können wir wohl nicht tun, oder?
DiaTec weekly – Jun 12, 20
Ein toller Krimi – wenn auch mit „nicht so befriedigendem“ Ausgang! Diese Art der kriminalustischen Fehlersuche kenne ich aus der Community nur zu gut! Es gibt immer viele „Verdächtige“ und leider nicht immer ist der „Täter“ zu ermitteln! Der Bericht fact dennoch Mut dran zu bleiben und den Dingen sorgsam auf den Grund zu gehen! Danke!
Danke für die Infos über Diabetes. Ich versuche, mehr über Diabetes zu erfahren. Ich werde diese Informationen über Diabetes in Betracht ziehen und mit einer medizinischen Fachkraft sprechen.