Bei den AID-Systemen muss den Wirkungseigenschaften des Insulins wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden, besonders bei Mahlzeiten. Die aktuell verfügbaren Hybrid-AID-Systeme variieren zwar „nur“ die Insulininfusion während der Nacht und zwischen den Mahlzeiten, für die Abdeckung des Insulinbedarfs zu den Mahlzeiten bleibt der Patient zuständig.
Mit Hilfe eines Boluskalkulators kann der Patient aber die Insulindosis bestimmen, die die Insulinpumpe in Relation zum aktuellen Glukosewert und der Menge an Kohlenhydraten in der Mahlzeit infundieren soll. Bedingt durch die Pharmakodynamik des infundierten Insulins tritt die Insulinwirkung nicht unmittelbar ein, wenn der Bolus gestartet wurde, sondern mit einer gewissen Zeitverzögerung. Damit die Insulinwirkung am höchsten ist, wenn die maximale Glukoseaufnahme im Darm nach Einnahme der Mahlzeit erfolgt, sollte das Insulin vor Beginn der Mahlzeit appliziert werden, wir reden also wieder über den guten alten Spritz-Ess-Abstand. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der rasch- und kurzwirkenden Insulinanaloga ist diese sinnvolle therapeutische Option etwas in den Hintergrund getreten, dabei macht er aber auch bei Verwendung solcher Insuline sehr wohl Sinn. Im Alltag spritzen viele Patienten aus Sicherheitsgründen erst, wenn das Essen vor ihnen steht, manch einer appliziert das Insulin auch erst nach der Mahlzeit, wenn er sicher weiß, wieviel er tatsächlich gegessen hat.
Wenn der Insulinbedarf zu einer Mahlzeit durch ein AID-System optimal abgedeckt werden soll, wie dies in Zukunft der Fall bei wirklich vollautomatisch arbeitenden AID-Systemen der Fall sein soll, muss der dabei verwendete Algorithmus die verzögerte Insulinabsorption aus dem subkutanen Insulindepot berücksichtigen. In einem aktuellen Kommentar des anerkannten AID-Experten Roman Hovorka aus Cambridge, UK, in der englischen Fachzeitschrift Diabetic Medicine zu diesem Thema geht er zunächst auf die Bedeutung einer optimalen Insulinabdeckung bei Mahlzeiten ein. Andernfalls gibt es ausgeprägte postprandiale Glukoseanstiege, die sich in einem nicht-optimalen Time-in-Range-Wert ausdrücken. Wenn das AID-System auf einen Anstieg in der von dem CGM-System gemessenen Glukosekonzentration mit einer deutlichen Steigerung der Insulininfusion reagiert, läuft das System dem Bedarf nicht nur hinterher, die Insulinwirkung hält möglicherweise auch länger an, als es dem Bedarf entspricht und es kann zu verzögerten post-prandialen Hypoglykämien kommen.
Eine Eingabe des Patienten dazu, dass er nun eine Mahlzeit beginnt und die Angabe der Menge an Kohlenhydraten, die er vermutlich essen wird, hilft dem AID-System (= dem darin implementierten Boluskalkulator), die geeignete Insulindosis festzulegen und zum optimalen Zeitpunkt zu infundieren. Es gilt, bei der Berechnung der Insulindosis auch die Wirkung des Insulins zu berücksichtigen, welches in den Stunden vor der Mahlzeit infundiert wurde, da sich die Insulinwirkung der verschiedenen Insulingaben aufsummiert. Dazu ist es wichtig, dass für die Duration of Insulin Action (DIA) eine sinnvolle Wirkdauer als Parameter für den Algorithmus hinterlegt wird, damit dieser das aktive Insulin richtig berücksichtigen kann. In der Praxis scheint es so zu sein, dass Patienten den prandialen Insulinbolus eher knapp wählen und es dem Hybrid-AID-System durch Variation der basalen Infusionsrate ermöglichen, den Einfluss der Mahlzeit auf den Glukoseverlauf mit abzudecken.
Bei der 670G von Medtronic wird aus Sicherheitsgründen im Auto-Mode die Menge an Insulin begrenzt, die pro Stunde infundiert werden kann. Das kann dazu führen, dass kein Bolus abgegeben wird, wenn die maximale Insulinmenge pro Stunde schon erreicht wurde, was zu mehr Alarmen und häufigeren Abbrüchen des Auto Modus führt. Nichtsdestoweniger lag der Fokus bei der 670G mehr auf Sicherheit als auf Optimierung der Glukosekontrolle. Wenn sich dies in Zukunft bei weiteren AID-Systemen ändern sollte, wird das Vorgehen in Hinsicht auf eine Limitierung der Insulinmenge pro Stunde vermutlich entfallen.
Es erscheint also wichtig, dem Thema Spritz-Ess-Abstand bei der Schulung der Patienten wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen, das gilt auch für die Unterweisung der Diabetes-Teams. AID-Systeme können vieles gut und vieles im Alltag auch besser als die Nutzer, trotzdem sollten sich alle der Limitationen solcher Systeme auch bewusst sein, um einen optimalen Einsatz zu erreichen.
DiaTec weekly – Sep 5, 2019